Skizzen und Notizen

Im Alter von 73 Jahren stellte Erwin Heinle seine persönlichen Lebenserinnerungen in einem Skizzenbuch zusammen. Diese „Skizzen und Notizen“ widmete er seiner Frau Gisela und überreichte sie am 7. Juli 1990 zum 45. Hochzeitstag. Die handschriftlichen, sehr persönlichen Aufzeichnungen wurden in der Ausstellung „ERWIN HEINLE BEST OF Zwischen Hochgebirge und Mittelmeer“ erstmals veröffentlicht.

 

Einführung

Skizzen werden hier verstanden als Zeichnungen von kurzen persönlichen Eindrücken, abhängig von Neigungen und Stimmung, vom Ort und von der Zeit. Sie sind oft sehr flüchtig, manche sorgfältiger ausgeführt und in wenigen Fällen thematisch gruppiert. Dargestellt sind anfangs Menschen, dann Bauten, danach Landschaften und schließlich nur Stimmungen. Gesucht wurden immer wieder komplexe Gesamtzusammenhänge.

Die Notizen enthalten sehr Persönliches, erstmals Berichtetes. Nur wenige Zusammenfassungen, die schon bekannt sind, wurden zur besseren Übersicht eingefügt. Die Querverweise sollen den Zugang zu weiteren Informationen ermöglichen. Aus dem Leben als Architekt und als Hochschullehrer wird wenig berichtet, weil dies ausführlich in den Dokumentationen von Heinle, Wischer und Partner und von der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart zu lesen ist.

Erstmals sind die Bezüge zu unserer Familie von Zeit zu Zeit eingeschoben, als Notizen und als Fotos. Ohne sie wäre mein Leben, wäre das Buch nicht so farbig und erlebnisreich geworden. Meiner Frau, die so verständnisvoll mein Leben begleitete, ist dieses Buch gewidmet zur Erinnerung und als Dank.

Die frühe Zeit in Vaihingen 1925

Meine Eltern habe ich in Erinnerung als redliche, ungewöhnlich fleißige, sparsame, saubere Eheleute – ein echtes schwäbisches Vorbild – von allen geachtet. Mein Vater war großzügig und alles, was zur Lebensvorsorge gehörte, förderte und unterstützte er. Alles, was zur Üppigkeit hätte führen können, schränkte er ein. Klare Grenzen wurden von ihm gesetzt. Meine Mutter war nicht nur eine perfekte Hausfrau sondern auch eine glänzende Organisatorin eines großen repräsentativen Unternehmerhaushalts. Auch sie setzte Grenzen, wenn auch mit weicheren Kanten.

Unser Bruder Oskar und seine Freunde imponierten uns durch ihr Handballspiel und regten damit bei uns Sport allgemein und Leichtathletik im Besonderen an. Und unsere Schwester Ly führte mich ins alpine Skilaufen ein, regte Tennis spielen an und übte sehr geduldig am Klavier mit mir, bis zum Schülerkonzert „vierhändig“. Der Vetter Erwin Fauß lehrte mich schon in der Grundschule das Malen in Öl. Wilde Tiere, Landschaften, Häuser und Blumen waren die Objekte.

Danach in Stuttgart bis 1933

Wenige Jahre nach der Inflation baute mein Vater das Haus in der Ehrenhalde 35 in Stuttgart. Der Eckturm war eine Besonderheit, die Kuppel darauf aber war für mich Grundschüler ein Zauberwerk, das ich vom Reißboden bis zum Aufschlagen verfolgen durfte.

In der Falckertschule, die nur Ebelin-Klassen unterbrachte, lernte ich interessante Schulkameraden kennen u.a. den Sohn des Kammersängers Ritter und den des Generaldirektors der DLW Heilner. Daran schlossen sich einige Jahre im DRG an. Schulfreunde von damals wie Dr. W. Hill leben noch heute. Am meisten blieben mir in Erinnerung die Lehrerpersönlichkeiten vom DRG. So gab mir der Lateinlehrer Prof. Memminger, genannt Memphis, einmal eine schlechte Lateinarbeit mit dem Bemerken zurück: „Kerle, Latei konsch net aber en Zeichner, des konsch werdda.“ Auf dem eingelegten Fließblatt hatte ich Indianerköpfe und Rennwagen skizziert.

Schon der Grundschullehrer Ackermann hatte mich durch seinen Katechismusdrill bestens auf den CVJM vorbereitet. In diesem Jungenverein erlebten wir schöne, freie, ja wertvolle Jahre. Noch vor der Konfirmation durften wir in einer kleinen Gruppe eine Hochgebirgstour auf den Widderstein machen. In der krisengeschüttelten Zeit vor 1933 musste mein Vater den Haushalt einschränken und Grundstücke in der Ehrenhalde verkaufen. Ich kann mich weder an Bemerkungen und schon gar nicht an Klagen meiner Eltern in dieser schwierigen Zeit erinnern.

In Stuttgart 1933 und danach

Für meinen Vater kam aber die schwierige Zeit nach 1933. Er war Freimaurer und wurde deshalb mit seinem Betrieb amtlich boykottiert und fast ruiniert – bis mein älterer Bruder Parteigenosse wurde. Auch von diesen Spannungen spürten wir fast nichts. Just in dieser Zeit durfte ich sogar mit 16 Jahren schon den Führerschien machen. Vorher musste ich aber mein Interesse durch Wagenwaschen beweisen. Dies, obwohl mein Vater einen Chauffeur hatte. Ausgerechtet 14 Tage nach Erhalt des Führerscheins und bei meiner ersten Alleinfahrt verursachte ich einen Totalschaden mit dem nagelneuen großen Opel Admiral in der Friedrichstraße. Obwohl ich allein schuldig war, empfing mich mein Vater, indem er mir die Hand auf die Schulter legte: „Ich hoffe, dass dies die einzige Erfahrung dieser Art bleiben möge.“ So blieb es bis heute! Trotz dieser enormen Großzügigkeit haben wir Kinder unseren Eltern viele Sorgen gemacht. Typische Jungenstreiche bis zu Sprengungen nach Kurts pyrotechnischer Vorbereitung waren wirklich nicht selten.

Ja, ich durfte sogar, obwohl es im 3. Reich keine Devisen gab, auf der Freimaurerspur während einiger Sommerferien nach England reisen. Dem Zeitgeist entsprechend berichtete ich dann, dass es in Deutschland keine solchen Elendsquartiere gäbe wie im Zentrum des englischen Weltreichs. Das verletzte meinen Vater tief, wie mir meine Mutter später erzählte. Dafür lernte ich für mein Leben Entscheidendes. Mir fiel auf, dass die Werksleute morgens in jeder Jackentasche eine Zeitung trugen. Als ich sie fragte, weshalb sie diesen doppelten Leseaufwand betrieben, antworteten sie trocken, sie würden dadurch eine linke und eine rechte Meinung erfahren und danach würden sie sich ihre eigene dazwischen bilden.

Durch die Gleichschaltung des CVJM mit der Hitlerjugend erfuhr ich dann das Gegenteil, die Einweginformation, die Propaganda. Auch hier griff mein Vater wieder ein. Schon mit 16 Jahren durfte ich in den Reitersturm der S.A.. Dort war der Sport, das Reiten – als Wehrertüchtigung – wichtiger als die Indoktrination. Mein Bruder Oskar verschaffte mir trotz meines Alters Zugang zu interessanten Kreisen und Tätigkeiten. So durfte ich über das Voltigieren in der Öffentlichkeit in der Stadthalle bald Sprungturniere reiten.

Mein Bruder Oskar durfte schon sehr früh eine Großbaustelle der Autobahn Stuttgart-Heilbronn leiten. Wir beiden jüngeren Brüder durften manchmal mit unserem Vater zu seiner Baustelleninspektion nach Heilbronn. Mir imponierten die außerordentlichen Fortschritte dieser Baustelle durch den Einsatz großer Baumaschinen. Vielleicht beneideten wir sogar Oskar um seine Tätigkeit, so Vieles so schnell bewegen zu können. Unterschwellig blieb bei mir sicher etwas davon hängen.

Nach 1933 in der Schule

An der Schule hatte ich damals keinen richtigen Spaß. Zwar bekam ich jahrelang im Sport und Zeichnen sehr gut und erhielt auch Preise und andere Auszeichnungen in diesen Fächern, aber das war zu wenig Ansporn. Freunde und Lehrer redeten mir ein, ich sollte doch bald diese Neigungen und Begabungen nutzen. So teilte ich dann vor dem Einjährigen meinem Vater mit, ich wolle Grafiker werden. Ohne viele Diskussionen sagte er mir, solange ich meine Füße unter seinen Tisch strecke, hätte ich zu tun, was er wolle. So kurz angebunden erlebte ich ihn nie. Es wurde auch nie wieder darüber gesprochen. Ich hatte das Abitur abzulegen.

Abitur 1937 / Schulfreunde und Erlebnisse

Trotz der Nationalsozialistischen Diktatur blieb mir die Zeit vor dem Krieg in schöner Erinnerung. Als Klassensprecher hatte ich mit meinen Schulkameraden gute Beziehungen. Da Erhardt Kassler mit unserer Klasse den „18. Oktober“ aufführen durfte, schien uns die Einschränkung auch nicht so groß. Und in der Tanzstunde gab es sowieso völlig andere Interessen.

Als Vorstand habe ich allerdings eine schlimme Erinnerung an den Schlussball, den ich zu organisieren hatte und zu dem die Kapelle nicht kam. Alle Autofahrer mussten dann während der anderen Aufführungen die Musiker einer anderen Kapelle holen. Es wurde dann doch noch ein schönes Fest.

Meine schönsten Erinnerungen an diese Zeit sind verbunden mit den Erlebnissen, die ich mit einigen Schulfreunden hatte. Traugott Rall, der Philosoph und Wettschwimmer, war stets gesprächsbereit, Hans Gentzke traf mit seiner spitzen Zunge oft den Kern einer Sache und H. Schmidt diskutierte gerne nächtelang. Mit Bupsi Rehfuß waren wir viel unterwegs und mit Erhardt Kassler hatten wir alle viel Spaß. Leider sind alle gefallen und Bupsi starb vor zwei Jahren. Nur Erhard und ich überlebten diese gefahrenvollen Zeiten und dies auch nicht ohne Verwundungen. Unsere Lehrer waren – wenn auch die Auszüge aus den Kneipzeitungen einen anderen Eindruck geben – meist Persönlichkeiten, die viel zu unserer Bildung beitrugen. Leider konnten wir erst nach einem fast zehnjährigen Umweg über Arbeitsdienst, Wehr- und Kriegsdienst mit dem Studium beginnen.

Wehrdienst Horb 1937 – 1939 / Polenfeldzug September 1939

Statt „Reserve hat Ruh“ und Entlassung: Mobilmachung und Polenfeldzug – das war im September 1939 – und zeitgleich die Umkehrung aller Werte. Kaum Schlaf, Schmutz, Dreck, Ungeziefer und stellenweise trostlose Armut, das blieb in Erinnerung. Der 1. Kampftag und der letzte vor Lemberg waren Zäsuren von Schock. Die Tagebücher „Paul“ und „Gold“ u. a. berichten in allen Einzelheiten über die wenigen Wochen.

Wir wurden danach ins Rheinland u. a. nach Erkelenz verlegt. In einem der Quartiere lernte ich Gisela, eine der vier Bruckhausentöchter, als sportliche Abiturientin kennen. Sie kritisierte meine Lektüre – Nietzsche, Schopenhauer, Faust – und mein Tischtennisspiel. Trotzdem kamen wir uns näher und schrieben uns danach immer häufiger. Aus dieser Korrespondenz sind die Anlagen als Skizzen aus den fremden Kriegsländern erhalten geblieben. Unsere gemeinsamen Urlaube brachten uns so zusammen, dass wir uns 1943 verlobten und nach dem Krieg heiraten wollten. Diese unsere Liebe half mir oft über viele schwere Zeiten während des Krieges hinweg und beim Neuanfang nach dem Kriege.

Während des Krieges lernte ich den größten Teil Europas auf makabere Weise kennen. Nur für meine Freundin und Verlobte habe ich zuerst die Skizzen gemacht – weit weg vom Kriegsgeschehen, als ob es nicht vieles Schreckliche gegeben hätte. Diese Skizzen waren dann auch der Anstoß, nach 30 Jahren damit weiterzumachen.

Vier Jahre Russland mit Unterbrechung in Griechenland (1943)

Die fast vier Jahre in Russland – mit Unterbrechungen – waren die verlorensten Jahre meines Lebens. Trotzdem blieb später das Verlangen, wieder Russland zu bereisen. Die weite, schwermütig stimmende Landschaft, die rührend hilfsbereiten alten Russen und noch mehr die Russinnen, das sind Erinnerungen, die ich wieder einmal wecken wollte. Die beigefügten Temperabilder von einem befreundeten „Kriegsberichter“ geben meine Erinnerungen und die damit verbundenen Stimmungen wieder.

Trostlosigkeit einerseits und die Härte des Krieges andererseits ließen uns die beiden „Auffrischungszeiten“ in Griechenland und Frankreich besonders genießen. Vorher aber erlebten wir mit der 1. Panzerdivision den Halt vor Leningrad, den Stopp und Rückzug vor Moskau und später im Süden Russlands die „Operationen“.

Schon die Fahrt durch den Balkan nach Griechenland ließ uns Europa vollends erleben. Der Aufenthalt in Griechenland war nicht nur meine schönste Zeit zwischen 1937 und 1945 – hier festigte sich bei mir der Wunsch, Architekt zu werden, wenn ich je wieder nach Hause kommen sollte. Der Krieg ging mit zunehmender Härte weiter und der „siegreiche Rückzug“ über weitere Balkanländer lässt auch heute diese kriegerische Reise durch halb Europa sehr makaber erscheinen.

Der totale Zusammenbruch 1945 und danach

Mit dem totalen Zusammenbruch Deutschlands endete der 2. Weltkrieg und wir, die 1. Panzerdivision, im Internierungslager Braunau, dem Geburtsort des Diktators Hitler. Kaum dort entlassen, fingen die Franzosen mich wieder. Mit alten Soldatentricks konnte ich ihnen wieder entkommen und mit Oskars Hilfe das „andere“ zu Hause erreichen.

Unser Vater war bei einem Bombenangriff im Sommer 1944 umgekommen, das elterliche Haus Ehrenhalde völlig zerstört, sein Betrieb verbrannt und die Restfamilie auf zwei Wohnungen zusammengepfercht. Ly Thoma, unsere Schwester, nahm Gisela und mich auf und hatte damit eine „Kommune“ mit vier Familien, denn meine Mutter war bei ihr und eine Berliner Frau. Mutter und ihr Vaihinger Garten halfen den Familien über die schlimmsten Nahrungssorgen hinweg.

Als der Restbetrieb der Familie Paul Heinle enteignet werden sollte, weil Oskar und Erich Parteigenossen waren und sie außerdem noch Jahre als Hilfsarbeiter tätig sein sollten, da schien die Existenz der Familien ruiniert zu sein. Zum Glück konnte unsere Mutter die Freimaurermitgliedschaft des Vaters nachweisen. Der Betrieb wurde von einem Ingenieur der Firma dann notdürftig konserviert, bis die beiden Chefs Oskar und Erich wieder beginnen durften. Bis zur Währungsreform führten wir dann ein abenteuerliches Leben für die Nahrungsbeschaffung, Brennholz und Kohlen – kurz: der Primärbedarf und seine Sicherung war die Dauerbeschäftigung. Aber der Zusammenhalt in der Familie und die gegenseitige Hilfsbereitschaft halfen über diese Zeit hinweg.

1945 – Frieden / Heirat

Gisela durfte nach unserem letzten gemeinsamen Urlaub im Winter 1945 weiter bei meiner Schwester Ly wohnen bleiben. Sie hatte schlimme Zeiten kurz vor Kriegsende und vor allem in der französischen Besatzungszeit erlebt. Doch jetzt war Frieden und wir hatten den Krieg überstanden und wollten baldmöglichst heiraten – trotz Morgenthau-Plan und anderer Angstmacherei und obwohl ich keinen Beruf hatte.

Das war ein fast leichtfertiger Optimismus, denn die kommunistischen Verwalter der Restwohnflächen sagten mir sehr deutlich, dass für einen, der sich im Krieg neun Mal verwunden ließ, kein Platz in der Stadt sei. Und die Hochschulverwaltung ließ mich, den ehemaligen Bataillons-Kommandeur, zum Studium nicht zu. Wir blieben doch in Stuttgart bei Ly wohnen und nach einem Dreivierteljahr Aufräumarbeit für die Technische Hochschule durfte ich doch studieren.

Wir heirateten trotz aller Hindernisse im Sommer 1945, am 7.7. standesamtlich in Stuttgart und feierten bei Ly und am 9.9. standesamtlich nach konfessioneller Einweisung in Erkelenz nochmals im Kreise Bruckhausen. Kurt und ich erhielten als Erbteil Studienbeihilfen aus der Firma Paul Heinle, die aber Oskar und Erich erst verdienen mussten. So brauchten wir nicht wie viele andere als Werkstudenten studieren. Von unseren Geschwistern und von unserer Mutter erhielten wir aber auch noch viel andere Unterstützung. So half uns Oskar mit Rat und Tat und mit seiner persönlichen Arbeitskraft beim Wiederaufbau der Wohnung für Gisela und mich in der Robert-Mayer-Straße.

Die ersten Nachkriegsjahre bei Ly im Feuerbacher Weg

Die ersten dreieinhalb Jahre wohnten wir bei meiner Schwester Ly, die sich und das Wohnen der Familie sehr einschränkte, im Feuerbacher Weg im Dachzimmer. Zuerst waren Gisela und ich allein als Dachbewohner. Im April 1946 kam Gudrun, unsere erste Tochter, zur Freude von uns und der ganzen „Kommune“ dazu. Da ich danach auch studieren durfte, war auch mein Studienplatz im Dach. Trotz dieser räumlichen Enge erinnere ich mich an die nachfolgenden Jahre bei Ly sehr gerne. Ein Teil der Familie war zusammen, die gegenseitige Hilfe war ständig spürbar und dieses Zusammensein stärkte ungemein. Die Skizzen lassen dies nur ahnen.

In dieser Zeit wurde der Vorläufer des Sonderbundes des Collegium Academicum gegründet und damit traditionelles und neues Studentenleben verschmolzen. Dieser Freundeskreis der Sonderbündler und Heimkehrer begleitete uns ein Leben lang. Feste voller Lebensfreude und Ausgelassenheit ließen bald die trüben Kriegserinnerungen vergessen. Doch außer diesen größeren Festen trafen wir uns sehr häufig „zu Hause“, Alfred Wilhelm und Gerda, Heinz Krauß, Eugen Funk, Herbert Fecker, Wilhelm Rehfuß und Doris und manche andere Sonderbündler. Auch diese Freunde halfen sich gegenseitig in der schweren Anfangszeit nach dem 2. Weltkrieg. Mutter und ihre Gartenprodukte, die Hoover-Speisen für Studenten und die Carepakete über Erich waren willkommene Überraschungen.

Die Familie wächst / Gudrun und Eva 1950 – 1960

Nach überstandener Währungsreform, dem Bau einer kleinen Wohnung, die durch Oskar erst ermöglicht wurde, und nach bestandenem Diplom (1949) waren wir eine eigenständige Familie in abgeschlossener, gemeinsamer Wohnung mit geliehenen Möbeln und auslaufender Studienbeihilfe. Zwar war unsere dreiköpfige Familie klein, aber durch die Miete, die nun anfiel und die anderen Hilfen, die nun wegfielen, waren diese Monate bis zur Anstellung und auch wenige Jahre danach eigentlich noch schwieriger als die Jahre bei Ly. (Zu dieser Zeit, 1953, hätte ich fast eine Berufung nach Delhi, Indien, angenommen.)

Trotzdem, wir genossen diese neue Freiheit, die abgeschlossene Familieneinheit in besonderem Maße. Zunehmend mehr besuchten alte Freunde uns in der Robert-Mayer-Straße. Erhardt Kassler, der alte Schulfreund, und Hannes Scheu feierten mit uns Fasching, Heinz Stocker und seine Frau, die über uns wohnten, besuchten uns häufig als Studienfreunde. Doch diese neue Wohneuphorie wurde bald durch unsere Vermieterin Frau Rumpf gestört. Und dies just in der Zeit, in der unsere zweite Tochter Eva geboren wurde. Damals entstanden Ziele, die wir erst viel später realisieren konnten: Wir wollten unabhängig wohnen, mehr Aussicht, mehr Grün, weniger Lärm, kurz: einen größeren Lebensraum für eine noch größere Familie, so wie sie sich, wie die Bilder zeigen, entwickelt hat.

Das Architekturstudium 1946 – 1949 / Assistent und Bürochef bei Prof. Wilhelm

Erst mit erheblicher Verspätung – mit 29 Jahren – konnte ich mit meinem Studium beginnen. Es galt also, viel Zeit einzuholen. Meine Frau Gisela war zwar Lehrerin und hatte bereits Berufspraxis – sie war aber auch werdende Mutter. Umso mehr musste ich so schnell wie möglich fertig werden. Durch Schwerpunkt- und Parallelstudium und durch manche Tipps von Bundesbrüdern konnte ich einschließlich Diplom nach dreieinhalb Jahren absolvieren und im letzten Jahr noch als Hilfsbremser assistieren am Lehrstuhl von Prof. Wilhelm. Heinz Stocker war damals schon Assistent und vermutlich auf seine Empfehlung wurde ich dann sein Nachfolger. Mit Harald Deilmann hatten wir den Lehrstuhlbetrieb zu organisieren – auch, als Prof. Wilhelm ein halbes Jahr in den USA war.

Parallel zu dieser Tätigkeit des „Beamten auf Widerruf“ half ich Prof. Wilhelm bei Forschungsberichten für Bauen + Wohnen und bei der Vorbereitung von Ausstellungen und Publikationen. Bald wuchs sein Büro auf mehr als neun Mitarbeiter, die das Haus Finkh, den Kindergarten in Leonberg, die große Schulgruppe in Tailfingen, die Schule in Aichschieß und die Gänsbergschule, später Silcherschule, in Zuffenhausen zu planen und zu überwachen hatten. Da er immer mehr zum Schulexperten in Deutschland wurde und daraus viele andere Verpflichtungen erwuchsen, fielen mir entsprechend mehr Aufgaben in seinem Büro zu. Diese nahm ich gerne wahr, da ich Prof. Wilhelm schon beim Studium und erst recht später hoch schätzte wegen seines Wissens und seiner bescheidenen Art.

Fernsehturm Stuttgart 1954 – 1956

Obwohl ich durch die Mitarbeit bei Prof. Wilhelm nach außen auch schon als Schulexperte galt, gab ich dem Drängen von Dr. Müller vom Süddeutschen Rundfunk nach. Er suchte angeblich für den Bau des Fernsehturms einen Architekten, der Hochschulassistent, schwindelfreier Kletterer und dekorierter Offizierssoldat war. Vermutlich empfahl mich Prof. Gutbrot. Dass ich schweren Herzens von Prof. Wilhelm wegging, möchte ich ausdrücklich betonen. Andererseits hatte ich sehr viel weniger zu tun als früher und meine verlängerte Assistentenzeit war zu Ende.

Erst nach einiger Zeit wurde mir bewusst, welche Herausforderung dieser Turm für mich werden sollte. So Vieles war absolutes Neuland. Das fing mit den zuerst geschätzten Baukosten von nur einer halben Million DM an. Alex Möller zwang uns deshalb, präziser zu werden und als wir mit 3,5 Mio. DM rechneten, mussten wir sieben billigere Kostenalternativen ermitteln. Weil ein SDR-Reporter von einem „Schwabenstreich“ berichtete und einen halb ausgebauten Turm meinte, ließ der Verwaltungsrat ab von der Kostenreduktion.

Da nach internationalem Recht der Fernsehturm als Flughindernis mit roten und weißen Querstreifen zu kennzeichnen war und mir dies nicht gefiel, machte ich gleich hier dem SDR klar, dass ich mit dieser „Sambasocke“ meinen Namen nicht verbinden wollte. Ulli Reichert vom SDR half mir als Reporter, den Ministerrat des Innenministeriums umzustimmen, so dass ein Gutachten zugelassen wurde. Mit der daraus entwickelten Xenonleuchte konnte dann der Anstrich verhindert und die Sicherheit verbessert werden.

Die U-Boot-ähnlichen engen Raumverhältnisse brachten für den technischen Ausbau besondere Schwierigkeiten. Gestaltung, Materialwahl und Details für den Turmkorb waren ein besonderes Problem, ja beste Fachfirmen lehnten wegen des Risikos den Auftrag ab. Die Aufzugsschienenmontage musste eingestellt werden, weil bisher die durch Wärmeeinstrahlung bewirkte Biegung des Turmes zur Schattenseite unbekannt war. Nachträglich mussten die Aufzugsgegengewichte aufspaltbar konstruiert werden, damit sie nicht beim Seilriss die Spannglieder zerstören konnten und damit die Standfestigkeit des Turmes gefährdet worden wäre. Die Fallrohre mussten etagiert und in doppelter Ausführung geplant werden. Getrennte Ver- und Entsorgungsschächte wurden verlangt. Als Reinigungs- und Kontrollgerät für die Fassade musste ein besonderer Apparat erfunden werden. Um die Bauzeit ein halbes Jahr verkürzen zu können, musste ein freier Außenaufzug an Spannseilen geführt und eingesetzt werden. Die von der Baurechtsbehörde geforderte innere Wärmedämmung ist bis heute noch nicht ausgeführt – weil überflüssig.

Diese und viele andere Vorschriften führten bei nachfolgenden Turmbauten zur Verdopplung der Kosten. Viele andere Neuigkeiten interessierten Ingenieure und Architekten der UdSSR und der DDR für den Bau ihrer Revolutionsjubiläumstürme. Das führte zu Beratungen in Ostberlin und Moskau, aber auch später bei anderen Türmen. In allen weiteren Turmplanungen blieb die bewährte Kooperation mit Prof. Leonhardt.

Kollegiengebäude I der Technischen Hochschule Stuttgart

Der Fernsehturm war noch nicht schlussgerechnet als mich mein alter Lehrer Prof. Wilhelm fragte, ob ich nicht die Leitung des Büros der drei Professoren Gutbier, Siegel, Wilhelm für die Planung des Kollegiengebäudes I (K I), in dem die Fakultät Bauwesen mit Bauingenieurwesen und Architektur unterzubringen war, übernehmen wolle. Ich sagte sofort zu, obwohl viele Kollegen mich fragten, wie ich denn gleich drei Herren dienen wolle, wenn es für einen schon schwer genug sei. Es wurde dann eine interessante und lehrreiche Zeit, in der ich alle drei Chefs schätzen lernte. In den Büchern „Koordination und Integration“ und „Sichtbeton“ von Bächer-Heinle wird viel über die Planung und Ausführung des Hochschulhochhauses berichtet.

Landtag Baden-Württemberg

Und wieder war das K I noch nicht schlussgerechnet und das K II nur im Groben skizziert, als mich Prof. Gutbier bat, mich bei der Planung des Landtagsgebäudes Prof. Linde bzw. der Staatlichen Bauverwaltung zur Verfügung zu stellen. Auch hier sagte ich zu, obwohl ich einen unangenehmen und undankbaren Beginn hatte. Herr Kießling und ich fuhren einen langen Winter in das Büro des Architekten Viertel, der den 2. Wettbewerb gewonnen hatte, um dort die vom Preisgericht kritisierten Nachteile zu beseitigen. Der Landtag war damit nicht zufrieden und übergab danach der Staatlichen Bauverwaltung – also Prof. Linde – Planung und Durchführung des Landtagsgebäudes Baden-Württemberg. Die Leitung dieses Büros – abgekoppelt vom Staatlichen Hochbauamt I – sollte ich übernehmen. Bernhard Winkler, H. Kießling und H. Schmidtberger sollten mich unterstützen.

Die Ablehnung kleiner Korrekturen zwang uns zu grundlegenden Untersuchungen, damit der Ältestenrat des Landestages vom Konzept dieses neuen Gebäudes überzeugt werden konnte. Das begann mit der Situation zwischen Staatstheater und neuem Schloss. Die Sitzordnung im Gesamten und die der Angeordneten zur Regierung, die Zahl der Büros, die Ausstattung des Plenarsaales, die Sitzungssäle und ihre Lage zur verkehrsstärksten Straße Stuttgarts, die Eingangshalle, das Foyer, die Materialien der Fassade und die im Inneren und natürlich die Kunst mussten zur Entscheidung vorbereitet und dem Ältestenrat vorgelegt werden. Der spätere Intendant des SDR half hier viel, die Entscheidungen vorzubereiten. Und der stellvertretende Landtagspräsident Dr. Brandenburg unterstützte uns gerade bei der Kunst im besonderen Maße.

Prof. Linde half uns, wo er konnte, auch durch Einschaltung von hervorragenden Beratern und deren Büros, wie Prof. Roma für die Außenanlagen und Prof. Wiegemann für den Innenausbau sowie von Prof. Brandi für den grafischen und künstlerischen Bereich. Mit allen genannten hatten wir – Winkler, Kießling, Schmidtberger und ich – eine hervorragende Zusammenarbeit. Die vielen Teiluntersuchungen halfen uns nicht nur bei der Entscheidungsvorbereitung und ihrer Herbeiführung, sie waren auch später noch Anregung bei folgenden Projekten. Das war eine ganz besonders spannende und fruchtbare Zeit.

PH Ludwigsburg und DKFZ Heidelberg

Noch bevor der Landtag fertiggestellt war, hatte ich mehrere Anfragen, ob ich an anderer Stelle meine Tätigkeit fortsetzen wolle. Die Staatliche Hochbauverwaltung stellte mir Hochschulbauämter alternativ in Aussicht. Daneben sollte ich Prof. Linde in der Länderkommission für Hochschulbauten am Institut und am Lehrstuhl helfen. Die Pädagogische Hochschule (PH) Ludwigsburg sollte ich planen und außerdem empfahl mich der Minister bei Prof. Bauer für die Planung des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) in Heidelberg. Das war die Zeit, als meine Bandscheibenbeschwerden ständig zunahmen. Deshalb neigte ich zu einer verantwortungsvollen Beamtenstellung. Meine Frau hatte während der vergangenen Jahre die Sorgen einiger höherer Beamter wegen ihrer Karriere erfahren und meinte: „Das hast Du nicht nötig. Wir ziehen den freien Beruf vor.“

Trotz des großen Risikos, trotz der Beschwerden und obwohl ich weder Räume noch Angestellte in Aussicht hatte, nahm ich den Auftrag DKZF Heidelberg an, ließ den Auftrag PH Ludwigsburg umschreiben und half als freier Mitarbeiter Prof. Linde in seinen verschiedenen Hochschulbereichen. Dafür durfte ich als Vorbereitung auf ein Symposium eine Weltreise machen. Danach wurden von mir noch Publikationen verlangt und Vorträge. Nach dem Umzug in die Dieselstraße und danach in die Ehrenhalde richtete ich mir dort ein kleines Büro ein und suchte und fand als Partner Robert Wischer. Darüber berichtete ich am 20. August 1982 ausführlich, auch über das schnell wachsende gemeinsame Büro.

Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart

Aufgrund der Publikationen über den Fernsehturm Stuttgart, den Landtag Baden-Württemberg und die Pädagogische Hochschule Ludwigsburg, über „Sichtbeton“ und „Koordination und Integration“, sicher auch auf Empfehlung der drei Professoren vom K I, musste ich 1962 bis 1964 in Stuttgart, Braunschweig und Hannover an dortigen Universitäten „vorsingen“. Gott sei Dank ohne den letzten Erfolg der Berufung.

Dafür berief mich die Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart. Das war eine schöne fruchtbare Zeit mit vielfältigen Tätigkeiten. Mit vielen Freunden und Kollegen aus dieser Zeit haben wir nicht nur bleibenden Kontakt, durch sie erfuhren wir eine echte Lebensbereicherung bis heute und hoffen, dass es noch lange so bleiben wird. Prof. Leo Wollner berät uns nicht nur im Büro. Er ist gewissermaßen der Hausfreund. Prof. Mohl, sein Hochschulnachfolger, und Prof. Henning suchen jährlich vielfach erfolgreich das persönliche Gespräch. Ja, und Prof. Witzemann bleibt als Patin unseres Kindes immer mit uns in Verbindung und wir freuen uns immer, wenn wir zusammenkommen. Aber auch die anderen Kollegen Votteler, Franz, Ade bringen uns immer wieder Freude ins Haus. Auch die Familien meiner einstigen Assistenten und wir besuchen uns gegenseitig. Die Nähe unseres Büros zu der Akademie erleichterte mir eineinhalb Jahrzehnte meine Zeitplanungen.

Unsere Familie wächst weiter und weiter

Das waren für unsere Familie im weitesten Sinne sehr fruchtbare, glückliche, aber auch arbeitsreiche Jahre. Noch in der Ehrenhalde 35, dem wieder aufgebauten elterlichen Haus, in dem Ly, Erich mit Familie, meine Mutter und wir wohnten, wurde Thomas geboren. Nicht nur für uns, sondern für die ganze Großfamilie in dem neuen Haus eine große Freude und Bereicherung. Gudrun und Eva weinten vor Freude und meine Mutter war ihm fortan besonders zugetan. Aber auch für Giselas Eltern war die Taufe ein Fest der stolzen Freude.

Nun verfolgten wir den Plan, selbst zu bauen, gezielt, im Besonderen Gisela. Sie fand den Bauplatz Schottstraße 110 und die verkaufende Besitzerin und noch den geeigneten Vermittler. Der Auftrag ICI machte es dann möglich. Die ganze Familie zog noch ein, aber schon wenige Jahre danach zog Gudrun wieder aus – sie heiratete Alexander Neumeister. Und bald darauf durften wir uns auf unser erstes Enkelkind Sarah freuen. Alexanders Eltern Vera und Charlie waren viel und gerne bei uns und Thomas bei Charlie. Das waren schöne und erlebnisreiche Zeiten. Sie wurden leider auch unterbrochen durch den Tod meiner Mutter, den Tod von Giselas Eltern und schließlich von Charlie Neumeisters plötzlichem Herztod. Das waren schmerzerfüllte Tage und Wochen danach. An alle erinnern wir uns immer wieder. Sie waren uns Vorbild, Anreger und ältere Freunde im besten Sinne.

Thomas wuchs uns viel zu schnell auf und Eva verließ das Haus, um zu studieren und zu heiraten. Laura, unser zweites Enkelkind, wurde dann zur Freude aller geboren. Auch Thomas verließ das Haus zum Studium, zum USA-Aufenthalt und wegen seines Berufes. Die letzte große Überraschung und Freude bereiteten uns Eva und Georg mit ihrer Hochzeit 1989 und seither sind wir Freunde der Familie Schneider mit Kindern und Kindeskindern.

Zu unseren Reisen

Leider konnten mich auf vielen Reisen weder Gisela und schon gar nicht unsere Kinder begleiten. Viele – eigentlich die meisten – Exkursionen oder Beratungsreisen waren berufsbezogen oder gar aufgabenorientiert. Entsprechend sind auch die Motive für die Skizzen. Aber die schönsten Reisen und die erlebnisreichsten waren die mit Familienmitgliedern oder gar mit der ganzen Familie – wie die nach Ägypten. Sie wurde von unseren Kindern vorbereitet, bezahlt, organisiert und begleitet. Eine Griechenland- und Türkeireise mit Eva und Thomas blieb uns in schöner Erinnerung sowie die Marokkoreise mit beiden. Die Persienreise hat Eva besser im Gedächtnis als ich.

Bevor ich ein eigenes Büro hatte, hatten wir Zeit, gemeinsame Autofahrten kreuz und quer durch die Alpen über eine Vielzahl von Pässen zu machen. In Frankreich, Italien, Holland und Sylt sowie in Österreich haben wir oft gemeinsame Urlaube verbracht. Rückblickend meine ich, manches war zu kurz. Eine sehr lange Reise machten wir, Gisela und ich, mit Thomas durch die USA. Und mit Gisela allein waren wir mit Architekten in Kanada und in den USA, Süd und West, sowie rund um das Mittelmeer. Besonders ausgiebig skizzierte ich auf dem Segeltörn mit Gisela und Freunden rund um die Kykladen. Seit wir in Südfrankreich und Österreich zwei Wohnsitze bzw. Ferienhäuser haben, reisen wir weniger.

USA-Reise / Gisela, Helen, Thomas und später Erwin

Obwohl ich vorher schon fünfmal je einige Wochen in den USA war, freute ich mich auf diese Reise besonders. Gisela machte ihren ersten Atlantikflug, Thomas dabei, Helen, unsere Gaststudentin und Hausbewohnerin für ein Jahr, führte uns zum Abschluss der Reise nach Oregon, wo wir Veras Schwester besuchten. Die zahlreichen Erlebnisse beschrieb Gisela in ihrem Bericht. Thomas protokollierte und versuchte in Skizzen, Bemerkenswertes festzuhalten. Die Vielfalt unserer Eindrücke wird am besten gekennzeichnet durch den Besuch von Großstädten von New York bis Los Angeles, von den Fahrten und Aufenthalten in den meisten USA-Nationals, von Highway-, Motel-, Hotel- und Ranchaufenthalten, kurzes Leben auf der Ranch, Geländefahrten, Flug durch den Canyon, ja, auf der Spurensuche von Karl May glaubten wir, fündig geworden zu sein. Das große Leben in Texas lernten wir kennen, vom Saloon bis zum Reitstall, im Galopp über die Prärie, die Abende am Grill, am Lagerfeuer mit Texas-Crisps und mit Straßenmusikern zu den unbekannten Seen, wo Thomas zum Wasserskilaufen eingeladen war. Und natürlich fehlte auch nicht das Spielcasino. Diese fünf Wochen der Familie und die drei von uns allen waren so vielfältig, dass wir immer davon erzählten.

Mittelmeer-Kreuzfahrt mit dem BDA

Die Reise – besser Kreuzfahrt mit vielen Unterbrechungen, Besichtigungen und bedeutenden Fachvorträgen – wurde vom BDA organisiert und auf einem Luxusschiff durchgeführt. Als Freunde fuhren mit die Familien Kammerer, Lambard und andere alte Kollegen. Es wurde um die Wette skizziert, auf Berge, Burgen und anderes gekraxelt und genüsslich lang und oft gebadet, aber auch viel gebechert.

Lehrreich wurde die Reise nicht nur durch die Vorträge, die den Spuren des „Löwen von Venedig“ nicht nur folgten, sondern auch die Ereignisse soziologisch, historisch, archäologisch und architekturtheoretisch deuteten. Dem Idealisten – auch das gibt es unter Architekten – half es zwar nicht weiter, wenn einer resümierend erklärte: „Nun wissen wir´s genau. Es war alles Lug und Trug und Mord und Totschlag in der griechischen, römischen und christlichen Geschichte – im Besonderen aber bei den Dogen von Venedig.“. Ein anderer, dem nicht zugehört wurde, meinte: „Wir müssen uns merken, dass alle Gemeinschaften, Völker und Staaten untergegangen sind, sobald sie nicht mehr die Pflichten für das Allgemeinwohl ernst nahmen, zu gut lebten, die Verteidigungsbereitschaft reduzierten und damit Vakuum für die Nachbarn wurden und deren Zugriffsneigung erhöhten.“ Kommunikation – fachlich und menschlich – wurde über die vielen Informationen erreicht.

Das blieb uns lange in Erinnerung. Die Skizzen sind auch ein Zeichen unserer guten Stimmung. Sie bewirkten, dass wir fünf Jahre später viel intimer den Segeltörn durch die Kykladen mit Familie Henke machten.

Skizzen von Landschaften und Bauten

Je tiefer ich über einstige Vorlesungsvorbereitungen an der Akademie, über Reisen, Reisevor- und Reisenachbereitungen in die Baugeschichte eindrang, umso stärker faszinierten mich die Werke der Vergangenheit. Das, was vor 50 Jahren in Frankreich begann und ich in Griechenland fortsetzen konnte, hörte zehn Jahre ganz auf, tröpfelte etwas weiter, um nach 20 Jahren in der Türkei und bei einer Weltreise für mich wieder interessanter zu werden: das Skizzieren von Bauten.

Nach unserer gemeinsamen Ägyptenreise schienen die vor Ort gemachten Skizzen dem Bedeutungsrang der ägyptischen Architektur nicht mehr zu entsprechen, deren Monumentalität zu wenig erfasst zu sein und die Spannung zwischen der zweieinhalb Jahrtausende währenden Baukunst, also gleicher Gestaltungsprinzipien, und der Vielfalt von Stimmungen und Belichtungen sowie Beleuchtungen zu ungenau dargestellt zu sein. Das führte dann zu den 54 überarbeiteten Skizzen, je neun von einem Baudenkmal und diese dann aus verschiedenen Richtungen und zu verschiedenen Tageszeiten. Ich wollte über die Doppelseite den Betrachter komplexer informieren.

Die Arbeit daran hat mir diese Weltarchitektur bewusster erhalten und im Vergleich dazu unsere Bauten viel bescheidener erscheinen lassen. Die Einübung in das Skizzieren von Bauten hat mir auch sehr geholfen beim Zeichnen von Türmen für das Buch „Türme“ (DVA 1988). Bauten und Landschaften waren vorher schon Motive für meine Skizzen und werden es bleiben.

Südfrankreich

Unsere Sommerurlaubszeiten verbrachten wir, die Familie, oft auf Sylt und an der holländischen Küste, manchmal auch in Italien. Vor etwa 25 Jahren waren wir dann erstmals an der Côte d´Azur. Le Lavandou hat uns so gefallen, dass wir jährlich zunächst einmal, später bis zu dreimal unsere Sommerferien dort verbrachten. Und seit 20 Jahren haben wir ein eigenes Terrassenhaus, das Gisela erkundete und bald danach kaufte. Seither ergänzt sie laufend dieses kleine Anwesen innen und außen.

Die Ferienwochen dort, die oft mit Kammerers Einladungen beginnen und wo wir Deilmann und andere Freunde und Bekannte treffen, sind vielfältigst genutzt und bereichernd. Mit einem einmotorigen Schlauchboot, später zweimotorigen Sportboot, erschließen wir uns die Küste, einsame Badebuchten und die See. Thomas, Eva, Georg, Sarah, Jakob und viele Freunde erleben damit Wasserskilauf bei bewegter See. Thomas hat uns mehrfach bis La Môle geflogen und uns die Küste von oben gezeigt. Zwischen Haus, Stadt, Hafen und Buchten bewegen wir uns nicht ohne Mofa und buchen auch stets den nahen Tennisplatz.

Meine Geschwister Oskar, Ly, Kurt und ihre Familien besuchten uns schon früh und später auch viele Freunde aus Stuttgart. Dort trafen und treffen wir immer Siegfried und Frau Kröner, die dort ein Berggrundstück besitzen, Familie Wente und Familie König. Vor allem aber ist es für unsere Kinder und Familien ein Erlebnisort, der bei ihrer knappen Zeit zunehmend wichtiger wird und ich bin dort häufiger am Aquarellieren als je.

Sankt Anton am Arlberg

Nachdem wir mit vielen Verwandten, Freunden und Bekannten die Skiparadiese St. Moritz, Davos, Oberstdorf und Zermatt genügend häufig besucht hatten, suchten wir einen Skiort, in dem wir in der Saison bleiben wollten. Gisela entdeckte, wie so Vieles vorher, das Haus Fahrner in St. Anton. Als er noch in den USA Lehrer – unter anderem auch der Kennedys – war, wohnten wir Jahrzehnte im Hotel Garni Fahrner und Karl Fahrner war nach seiner Rückkehr aus den USA ständig mein Skilehrer und der der Familie und Verwandten.

Leider konnten wir dort nicht bleiben, weil die skandinavischen Reiseunternehmen das volle Haus beanspruchten. Übergangsweise blieben wir dann im Hotel während unserer Skiwochen. Wieder hat Gisela ein Haus über Herrn Geist erkundet – das alte Haus Meier. Und als Karl Fahrner und Herr Meier nachhalfen, wurde der Kauf durch Herrn Dr. Punschab rechtskräftig gemacht. Vorher noch wohnten wir eine Woche zur Probe und mit Familie in diesem geräumigen Ferienhaus. Und nun sind wir, die Familie, Freunde und Verwandte, seit 1984 jährlich bis zu vier Mal hier – im Winter zum Skilaufen und im Sommer zum Wandern und Klettern. Landschaft und Erlebnisse regen auch das Skizzieren an.

Schlusswort von Erwin an Gisela

„Skizzen und Notizen“ mit einigen Fotos, die Wichtiges dokumentieren, ist vorläufig 1990 abgeschlossen – das Skizzieren geht aber weiter. Es wurde zusammengetragen, um Dir, liebe Gisela, bewusst zu machen, wie farbig unser gemeinsames Leben war und noch ist. Du warst die Adressatin, der die ersten Skizzen aus dem Krieg gewidmet waren. Du hast sie sorgfältig verwahrt, vor Bomben und Feuer geschützt. Und damit waren sie für mich nach dem Krieg Ansporn, es wieder zu versuchen. 30 Jahre danach hast Du mich bei unseren ersten Reisen erneut angeregt, damit weiterzumachen.

Daraus ist nun dieses Skizzenbuch entstanden mit vielerlei Motiven. Aber auch bei den Notizen wirst Du Vieles finden, was Du maßgeblich beeinflusst hast. Unsere Familie entstand, wuchs und wuchs und ist wie sie ist durch Dich und Deine Mühe und Deinen positiven Einfluss. Mein freier Berufsweg wäre ohne Dich nicht so verlaufen. Ohne Dich gäbe es weder unser Haus in der Schottstraße, noch das in Frankreich und schon gar nicht das in Sankt Anton. Mit Stolz müsstest Du eigentlich Deinen, unseren Lebensabend genießen. Und wir beide sollten dankbar sein, dass wir so viel Glück gehabt haben.